
Juni: Geh aus, mein Herz, und suche Freud – EG 503
Auslegung von Reinhard Ellsel
„Im Junius“
: so lautet die Überschrift eines wunderschönen Textes,
in dem der Dichter Matthias Claudius den späten Frühling beschreibt:
„Im Junius. Aber die Lenzgestalt der Natur ist doch wunderschön; wenn der Dornstrauch blüht und die Erde mit Gras und Blumen pranget! So `n heller Dezembertag ist auch wohl schön und dankenswert, wenn Berg und Tal in Schnee gekleidet sind und uns Boten in der Morgenstunde der Bart bereift; aber die Lenzgestalt der Natur ist doch wunderschön! Und der Wald und die Blätter, und der Vogel singt, und die Saat schießt Ähren, und dort hängt die Wolke mit dem Bogen vom Himmel, und der fruchtbare Regen rauscht herab
–
Wach auf mein Herz und singe
Dem Schöpfer aller Dinge
–
`s ist, als ob Er vorüber wandle, und die Natur habe Sein Kommen von ferne gefühlt und stehe bescheiden am Weg in ihrem Feierkleid und frohlocke!“
So weit Matthias Claudius.
In meiner Predigt möchte ich mit Ihnen über den
„Sommer-Gesang“ von Paul Gerhardt nachdenken. Zu seiner Zeit wurde zum Sommer oft auch der Frühling gezählt.
Matthias Claudius hatte in seinen Frühlings-Worten schon aus einem Morgenlied von Gerhardt zitiert:
„Wach auf, mein Herz, und singe ...“
(EG 446,1) Darum geht es Claudius und Gerhardt: Dass unser Herz beim Betrachten der Natur wach wird und seinem Schöpfer singt.
Der
„Sommer-Gesang“
von Gerhardt ist ähnlich schön, wie die Worte von Matthias Claudius zum Frühling
–
nur viel bekannter und es ist ein Lied:
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud“
. Dieses Lied gehört zu den beliebtesten Gesangbuch- und Volksliedern.
EG 503,1
01. Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben.
Der Sommer lädt uns dazu ein, dass wir uns an der schönen Schöpfung erfreuen. Der zur Freude eingeladene Dichter führt ein Selbstgespräch:
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud“
.
Und über dieses Selbstgespräch nimmt er auch uns mit hinein in seine Freude
„an der schönen Gärten Zier“
.
Paul Gerhardt stärkt uns mit seinem Lied den Glauben, der uns Mut zum Leben gibt. Und er vermittelt uns eine Heilsgewissheit, die weit über dieses Leben hinaus führt. Dazu öffnet er uns
„in dieser lieben Sommerzeit“
die Augen unseres Herzens
„für deines Gottes Gaben“
.
Der 1607 in Gräfenhainichen geborene Theologe schreibt also keine blutleeren Lehrsätze über das Walten Gottes in der Natur. Sondern Gerhardt erweckt unsere Sinne: „Geh aus und suche, schau an und siehe“ . Der Dichter malt mit seinen Worten Bilder, die bei uns Gefühle und gute Erinnerungen hervorrufen.
Der Bogen spannt sich von „Narzissus und den Tulipan“ über „die hochbegabte Nachtigall“ bis hin zu der „unverdrossnen Bienenschar“ . Unsere Gedanken und Gefühle gehen auf die Reise von "der schönen Gärten Zier" in die große und umfassende Schöpfung. Aprospos „Garten“ : Hatte nicht Gott – so erzählt es das 1. Buch Mose (2, 4b-15) – seine paradiesische Schöpfung einst als „Garten Eden“ angelegt?
EG 503,2-6
02. Die Bäume stehen voller Laub
das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide;
Narzissus und die Tulipan,
die ziehen sich viel schöner an
als Salomonis Seide.
03. Die Lerche schwingt sich in die Luft,
das Täublein fliegt aus seiner Kluft
und macht sich in die Wälder;
die hochbegabte Nachtigall
ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.
04. Die Glucke führt ihr Völklein aus,
der Storch baut und bewohnt sein Haus,
das Schwälblein speist die Jungen,
der schnelle Hirsch, das leichte Reh
ist froh und kommt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen.
05. Die Bächlein rauschen in dem Sand
und malen sich an ihrem Rand
mit schattenreichen Myrten;
die Wiesen liegen hart dabei
und klingen ganz vom Lustgeschrei
der Schaf und ihrer Hirten.
06. Die unverdrossne Bienenschar
fliegt hin und her, sucht hier und da
ihr edle Honigspeise;
des süßen Weinstocks starker Saft
bringt täglich neue Stärk und Kraft
in seinem schwachen Reise.
Zusammen mit der volksliedhaften Melodie von August Harder
(vor 1813) haben gerade diese Strophen Eingang in viele Liederhefte gefunden. Auch außerhalb der Kirche werden bis heute auf unzähligen Fahrten durch die sommerliche Natur diese lebensvollen Zeilen gerne gesungen. Mit meisterhaften Stilmitteln hat Gerhardt die Schöpfung Gottes für unsere Herzen zum Singen und Klingen gebracht.
Das Herz wird mir leichter. Hier in der Schöpfung kann ich so viel von dem lebendigen Atem Gottes sehen und spüren; von Gott, der nach der Sintflut gesagt hat:
„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter,
Tag und Nacht.“
(1. Mose 8,22)
Als Gerhardt seinen Sommer-Gesang um das Jahr 1650 dichtete, hatte nicht nur er, sondern ganz Deutschland eine Art „Sintflut“ gerade erst hinter sich. Erst 1648 war mit dem „Westfälischen Frieden“ der Dreißigjährige Krieg endlich beendet worden.
Städte und Ortschaften waren geplündert und verwüstet
–
auch Paul Gerhardts Heimatdorf. Hungersnöte und Seuchen hatten gewütet
–
Pauls älterer Bruder Christian war der Pest zum Opfer gefallen.
Aber trotz aller Kriegsschrecken und geschehenen Gräuel:
Die Erde steht. Und Gott erhält seine Schöpfung.
Trotz aller Torheit und Bosheit der Menschen:
Die Schöpfung atmet ihren eigenen göttlichen Rhythmus.
EG 503,7.8
07. Der Weizen wächset mit Gewalt;
darüber jauchzet jung und alt
und rühmt die große Güte
des, der so überfließend labt
und mit so manchem Gut begabt
das menschliche Gemüte.
08. Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.
Gott, als der Geber aller guten Gaben, kommt nun in den Blick;
in Strophe sieben zunächst nur angedeutet und mit philosophischen Begriffen umschrieben:
„der, der so überfließend labt.“
Gerhardt möchte seine Zeitgenossen nicht religiös bedrängen.
Aber so viel kann doch jeder aufgeschlossene Mensch bei der Betrachtung der Natur erkennen: Es gibt einen hinter der Schöpfung,
der
„mit so manchem Gut begabt das menschliche Gemüte.“
–
Oder wie sagte Matthias Claudius so einfühlsam und zurückhaltend:
„`s ist, als ob Er vorüber wandle, und die Natur habe Sein Kommen von ferne gefühlt und stehe bescheiden am Weg in ihrem Feierkleid und frohlocke!“
In Strophe acht aber fließt nun das Herz von Paul Gerhardt förmlich über, in einen dankbaren Lobgesang:
Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.
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Martin Luther glaubte, dass Kirchenlieder dazu beitragen können, die christlichen Lehren besser zu vermitteln. Deshalb veröffentlichte er 1524 das Achtliederbuch. Seitdem ist das Gesangbuch in einem dynamischen Prozess immer wieder ergänzt, erweitert und erneuert worden. › Weiter zur Arbeitshilfe |
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Martin Luther glaubte, dass Kirchenlieder dazu beitragen können, die christlichen Lehren besser zu vermitteln. Deshalb veröffentlichte er 1524 das Achtliederbuch. Seitdem ist das Gesangbuch in einem dynamischen Prozess immer wieder ergänzt, erweitert und erneuert worden. › Weiter zur Arbeitshilfe |
In den folgenden Strophen denkt Paul Gerhardt in einem Gespräch mit Gott nach über die Ewigkeit „dort“ und einst und über sein Leben „hier“ und jetzt.
EG 503,9-12
09. Ach, denk ich, bist du hier so schön
und lässt du`s uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erden:
was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden!
10. Welch hohe Lust, welch heller Schein
wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muss es da wohl klingen,
da so viel tausend Seraphim
mit unverdrossnem Mund und Stimm
ihr Halleluja singen.
11. O wär ich da! O stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen:
so wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen.
12. Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen;
mein Herze soll sich fort und fort
an diesem und an allem Ort
zu deinem Lobe neigen.
Die sichtbare Schöpfung ist ein Gleichnis für Gottes ewige Welt.
Gottes gute und schöne Schöpfung ist ein Abbild seines schönen und guten Wesens. Woher Paul Gerhardt das weiß?
Jesus hat darauf hingewiesen, zum Beispiel in der Bergpredigt,
wenn wer sagt:
„Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen:
sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?“
(Matthäus 6,28-30)
Und im Vertrauen auf die Güte Gottes und im Wissen um die biblische Botschaft geht Paul Gerhardt noch einen Schritt weiter:
Die
„schöne Gärten Zier“
, die wir schon hier
„auf dieser armen Erden“
betrachten können, ist ein untrüglicher Hinweis auf die helle Freude, die uns einst in
„Christi Garten“
erwartet, dem Paradies.
(Vgl. z. B.: Offenbarung 22,1-5) Wer an Jesus Christus glaubt, so freut sich Paul Gerhardt, dem stehen die Erde und der Himmel offen.
Die drei letzten Strophen bilden den eindrücklichen Schlussakkord in Paul Gerhardts „Sommer-Gesang“ :
EG 503,13-15
13. Hilf mir und segne meinen Geist
mit Segen, der vom Himmel fleußt,
dass ich dir stetig blühe;
gib, dass der Sommer deiner Gnad
in meiner Seele früh und spat
viel Glaubensfrüchte ziehe.
14. Mach in mir deinem Geiste Raum,
dass ich dir werd ein guter Baum,
und lass mich Wurzel treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben.
15. Erwähle mich zum Paradeis
und lass mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen,
so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr
hier und dort ewig dienen.
Jetzt zieht der Dichter die Quintessenz aus seinen vorhergegangenen Gedanken. Er tut dies in der Form eines Bittgebetes an Gott: „Hilf mir und segne, mach und lass mich, erwähle mich ...“
Um was geht es dem Dichter eigentlich in diesem Gebet?
Paul Gerhardt bittet Gott, dass er ihm helfe, während seiner irdischen Lebenszeit, das ist
„der Sommer deiner Gnad“
, seinen
„inneren Garten“
recht zu bestellen.
Ja, wir haben richtig gehört: Es gibt so etwas wie einen
„Garten“
in uns drin, in unserer Seele. Und die Frage ist, bestellen wir auch diesen Garten unseres Herzens? Lassen wir Gott an uns wie einen Gärtner arbeiten? Was füllt eigentlich unsere Träume aus? Was bestimmt unsere Gedanken, wenn wir mit uns selbst reden?
Paul Gerhardt empfiehlt uns, dass wir in stetiger Verbindung mit Gott stehen; „dass ich dir stetig blühe“ . Denn so kann Gottes Geist an unserem menschlichen Geist arbeiten. Dann erfüllen Gottes Gnade und Güte unsere Gedanken, und nicht nur Kummer und Sorgen. Dann bringt unser Leben „viel Glaubensfrüchte“ , an denen sich auch andere freuen können – so wie wir uns an Gottes guter Schöpfung freuen.
Unser ganzes Leben soll und darf ein Lobgesang sein zur Ehre Gottes
–
„mit Herzen, Mund und Händen“
. (EG 321,1)
So wollen wir schließlich mit Paul Gerhardt beten:
„Erwähle mich zum Paradeis
und lass mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen,
so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr
hier und dort ewig dienen.“