Guten Morgen
Morgens ist man (noch) frisch und startet in den Tag. Auch die Jugend wird mit dem Morgen verglichen. Doch nicht jeder Tag beginnt so, wie man es am liebsten hätte: fröhlich und unbeschwert. Sorgen und Ängste können schon zum Tagesbeginn belastend sein.
Von diesem Potpourri an unterschiedlichen Empfindungen erzählen diese vielfältigen Gedichte.
Junger Tag
Frühe
Im Osten graut's, der Nebel fällt,
wer weiß, wie bald sich's rühret!
Doch schwer im Schlaf noch ruht die Welt,
von allem nichts verspüret.
Nur eine frühe Lerche steigt,
es hat ihr was geträumet.
Vom Lichte, wenn noch alles schweigt,
das kaum die Höhen säumet.
Joseph von Eichendorff
Morgen
Da ich verschlafen lag
am Waldes grünem Rand,
geschah ein leiser Schrei im Land,
und da ich mir die Augen rieb,
war es schon heller Tag.
Vergangen ist mein Traum,
mein schwerer Traum! Die Welt
ist ringsum wohlbestellt
und hat für mich und viele
verlaufene Wanderer Raum.
O Tag, du junger Tag!
dich darf ich noch durchmessen,
in dir die Zeit vergessen
und mich und alles Schwere,
das mir noch kommen mag.
Hermann Hesse
Morgensonne
Du steigst heraus
aus jenem Meer von Dunst
und Nebelfeldern
das nächstens still
das weite Land bedeckt
und gießt darüber aus
die Fülle deines Lichts.
Dein goldner Strahl
dringt bis zum traumversunknen
Grund von Wäldern,
erhellt, was tiefe Nacht
geheimnisvoll versteckt,
erlöst den Äther
aus dem grauen Nichts.
Die schwarzen Schatten
der vergangenen Stunden weichen.
Die Kreatur –
Sie lässt sich wiedersehn.
Und alles darf
den frischen Morgen atmen.
Du lässt die Welt
zu neuem Leben
auferstehn.
Margarethe M. E. Busch-Tilp
Jeden Tag bestreiten
Jeden Tag aufstehen,
auf eigenen Beinen stehen.
Jeden Tag im Leben stehen,
das Alte neu bestehen.
Jeden Tag andere ausstehen
und zu sich selbst stehen.
Jeden Tag verstehen,
dass Gott hinter allem steht.
Jeden Tag aufstehen
zu neuem Leben.
Jeden Tag
neu.
Petrus Ceelen
Eines Morgens früh
Eines Morgens früh
wirst du dem anbrechenden Tag
wieder entgegenlächeln
und der Freude
wieder Einlass geben können
in dir.
Eines Morgens früh
wird die Sonne
wieder aufgehen
in dir
und du wirst danken können,
dass du bist.
Eines Morgens früh
wirst du die Aufgaben,
die vor dir liegen,
wieder als Herausforderung empfinden,
die dich spüren lässt,
dass du gebraucht wirst,
so, wie du bist.
Christa Spilling-Nöker
Neues
Neues von dieser Weltzeit
zu erwarten,
ist vergebliches Warten,
Neues kommt mir zu
nur von der Gnade Gottes.
Sie allerdings
verwandelt mir diese Weltzeit
jeden Morgen aufs Neue,
so lebe ich immer im status nascendi,
nichts wird alt oder verbraucht sich,
weil mein Herz schon neu ist,
auch wenn diese Welt immer noch die alte ist,
und weil es sich wunderhaft
jeden Tag erneuert
aus der Quelle
seiner Gnade.
Andreas Kleinschmid
Nicht mein Tag
Heute Morgen beim Aufstehen...
Heute Morgen beim Aufstehen
hörte ich den Kuckuck.
Er rief nicht um meinetwillen.
Die Sonne blieb lange hinter den Wolken.
Sie schuldet mir keine Erklärung dafür.
in der Zeitung kein Wort
über die Morgenlandfahrt der Stillen.
Der Wagen wäre auch angesprungen,
wenn sich ein anderer ans Steuer gesetzt hätte.
Die Menschen, denen ich Guten Tag sagte,
grüßten wieder, als grüßten sie irgendeinen.
Was ich tat, was ich ließ –
kein Gewinn, kein Verlust für den Rest der Welt.
Jetzt bricht der Abend herein
und zieht die Summe.
Wie sollte er auf die Idee kommen,
sich nach meinem Befinden zu erkundigen?
Der Tag ist ohne mich ausgekommen.
Soll ich ihn aus meinem Gedächtnis streichen?
Ich werde ihm Rosen in den Arm legen.
Detlev Block
Morgen und Abend
Wie warst du frühmorgens voll blitzend heller, guter Laune,
blicktest ins Leben wie ein Kind und
hattest dich da sicher oft recht keck und unkorrekt benommen.
Entzückend schöner Morgen
mit gold‘nem Licht und duft‘gen Farben!
Wie anders aber war es abends,
da kamen die müdenden Gedanken,
und ein Ernstes schaute dich an, wie du’s nie dachtest,
und unter dunklen Ästen gingen Menschen,
und hinter Wolken bewegte sich der Mond, und alles sah aus
wie Prüfung, ob du auch willensfest und stark seiest.
So wechselten beständig Frohheit mit Schwierigkeit und Sorgen.
Morgen und Abend waren wie Wollen und Müssen.
Eins trieb dich ins Weite,
das andere zog dich wieder in die Bescheidenheit zurück.
Robert Walser
Was bleibt – Gefühle
Was bleibt
Ein ganzes Leben reicht nicht,
zu verstehen, was in uns selbst ist,
wahrzunehmen, wer wir selbst sind.
Aber die Jahre führten uns gleichsam
durch Tageszeiten,
durch Morgen und Mittag, Abend und Nacht.
Und immer wieder begegnen wir
anderen Kräften, anderen Aufträgen,
immer wieder machen wir
andere Erfahrungen
mit uns selbst.
Am Morgen gleichsam,
in jungen Jahren, werden es Stimmungen sein,
Träume, Gefühle, die uns erfüllen.
Mit der Sehnsucht
werden wir Freundschaft schließen,
mit Freude und Trauer,
mit Furcht und träumerischer Phantasie.
Gefühle kommen,
bewegen und treiben und wirbeln uns,
und was daran schön ist und stark,
wird uns Licht bringen und Trost,
wird zur lebendigen, fröhlichen Musik
unserer eigenen Seele in uns.
Gefühle aber, die Geschenke des Morgens,
öffnen uns nicht nur den Zugang zu uns selbst,
sondern auch den zum anderen Menschen.
Wir täuschen uns ja, wir Heutigen,
die meinen, es sei das Denken,
das uns zu Menschen macht.
Es ist Zeit für den Mut, zu sagen:
Das erfüllt mich! Das fühle ich!
Danach sehne ich mich.
Denn Mut ist nötig,
zu bekennen, wer wir sind,
da wir doch uns selbst
noch kaum verstehen.
Ein Gefühl ist wie ein Kind,
das in uns lebt und weint und lacht,
Hunger hat und bemerkt sein will.
Wer zu seinem Gefühl zu oft sagt:
Sei still,
ich habe jetzt keine Zeit für dich –
dessen inneres Kind sitzt eines Tages
in einer vergessenen Ecke und trauert,
wird krank und verkümmert.
Mit Gefühlen soll man umgehen,
wie man mit einem Kind umgeht.
Man sieht ihm freundlich zu und aufmerksam.
Man hört, was es klagt,
man leidet mit ihm, wenn es leidet.
Denn Gefühle sind die lebendigsten Kräfte
in uns.
Ergreife, was dir gegeben ist
Ergreife, was dir gegeben ist
Frage nicht jeden Tag aufs Neue: Bin ich wohl auf dem richtigen Weg?
Mach dich nicht selbst jeden Tag aufs Neue unsicher.
Du kannst, wenn du ein Kind hast, nicht täglich fragen:
War es richtig, dieses Kind zu wünschen?
Es ist dir gegeben.
Also gehe mit ihm Schritt um Schritt.
Du kannst, wenn du eine Ehe führst, nicht täglich fragen:
Hätte ich nicht vielleicht jemand anderen wählen sollen?
Dein Partner ist dir gegeben.
Also gehe Schritt um Schritt mit ihm.
Ergreife, was dir gegeben ist.
Tue das Nächstliegende.
Verzehre dich nicht im Zweifel.
Jörg Zink
Anregungen für Morgen & Abend:
Weiterführendes:
› Fürbitten zu Morgen & Abend
› Morgengebete und Abendgebete
› Bücher mit Andachten und Gebeten
› Bücher zur Gottesdienstpraxis
› Spirituelle Bücher