Heilpflanzen der Bibel – Teil 2
Diese schöne Weihnachtslegende kennt auch, wer sonst nicht so bibelfest ist: Drei Weise aus dem Morgenland, die sich von einem hellen Stern nach Bethlehem leiten lassen, um dort einem Neugeborenen Gold, Weihrauch und Myrrhe zu verehren. Rituelle Kostbarkeiten – und überdies verblüffend wirksame Heilmittel, wie die moderne Arzneimittelforschung zeigt.
Weihrauch für die Nerven
So entdeckten Neurologen des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf, dass Weihrauch das Fortschreiten von Multipler Sklerose bremst, einer unheilbaren Nervenerkrankung. Verantwortlich dafür sind Boswelliasäuren, Hauptinhaltsstoff des duftenden Harzes, das durch Anritzen der Weihrauchbäume gewonnen wird. „Diese Substanzen hemmen Schlüsselenzyme im Körper, die die chronische Entzündung bei Multipler Sklerose befeuern“, erklärt Dr. Klarissa Stürner vom UKE.
In Stürners Pilotstudie reduzierte ein hoch dosierter Weihrauchextrakt die Zahl der entzündlichen Veränderungen („Läsionen“) im Gehirn um mehr als die Hälfte! Leider sucht man Medikamente mit Weihrauchwirkstoffen noch vergebens in deutschen Apotheken. „Für eine Zulassung braucht es größere und teurere Untersuchungen“, sagt Neurologin Stürner.
Myrrhe fördert die Wundheilung
Einen Schritt weiter ist die Medizin mit Myrrhe, der zweiten königlichen Gabe aus der Weihnachtslegende. Dieser biblische Schatz, der aus dem Harz des Myrrhenstrauchs gewonnen wird, war in der Antike als Kosmetikum ebenso begehrt wie als Arznei. Bei der Kreuzigung wurde Jesus Myrrhe-Wein angeboten, der als betäubend und schmerzlindernd galt. „Myrrhe wirkt krampflösend, entzündungshemmend und fördert die Wundheilung“, bestätigt die Leipziger Pharmakologin Prof. Dr. Karen Nieber.
In der westlichen Erfahrungsheilkunde hat die Naturarznei einen festen Platz. Als Kräuterauszug (z. B. „Thüringer Myrrhentinktur“) lindert die Myrrhe leichte Entzündungen am Zahnfleisch, in Drops (z. B. in „Broncholind Hals-Rachen-Lutschtabletten“) beruhigt sie zusammen mit Isländisch Moos und Salbei den Hals.
Ihre größte Stärke entfaltet die Myrrhe in der Köpermitte. Per Laborexperiment wies Prof. Nieber nach, dass die Heilpflanze die Darmmuskulatur entspannt und die Stärke von Darmkontraktionen verringert. Eine 2014 im Fachmagazin „BMJ Open Gastro“ veröffentlichte Studie, an der sich mehr als tausend Patienten in 131 deutschen Arztpraxen beteiligten, bestätigte, dass ein Myrrhe-Medikament („Myrrhinil-Intest“) Durchfall und Blähungen bei Reizdarm-Patienten deutlich lindert.
Exotische Lebensmittel als Heilpflanzen
Neben Myrrhe und Weihrauch nennt die Bibel eine ganze Reihe weiterer Pflanzen. „Mehr als 120 Arten werden in der Bibel erwähnt, die Hälfte davon sind Heilpflanzen. Die Heilkundigen in biblischer Zeit hatten ein enormes Wissen um die Botanik“, sagt die Heilpraktikerin und Medizinethnologin Dr. Edith Wolber aus Meckesheim. Neben Exoten wie Kalmus oder Zistrose erwähnen die Schriften auch Oliven, Feigen, Kümmel, Wein oder Minze. „Die Liste zeigt, dass in biblischer Zeit Nahrungsmittel immer auch Heilmittel waren für Leib und Seele“, so Wolber, die unter dem Titel „Marias Reiseapotheke – Heilpflanzen der Bibel“ regelmäßig Vorträge hält über die biblische Botanik.
Für Nicht-Bibelkundige an dieser Stelle der Hinweis: Selbstverständlich stellt das Buch der Bücher kein medizinisches Lexikon dar. Das Alte Testament beschreibt das Volk der Juden mit ihrem Gott: von der Vorgeschichte der Schöpfung bis zur Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft. Das Neue Testament wiederum handelt von Jesus Christus und seinen Anhängern. Die einzelnen Schriften bilden die Grundlagen des christlichen Glaubens. Sie sind zwischen 3000 und 1900 Jahre alt und das Gemeinschaftswerk von vierzig oder mehr Autoren.
Zugleich spiegeln die in den Bibeltexten versammelten Gleichnisse, Reden, prophetischen Zeugnisse oder Wundererzählungen die lebendige Kultur des jüdischen Volkes und seiner Nachbarn wider. Das zeigt sich in vielerlei erstaunlich präzisen Tipps zu Gesundheit, Hygiene oder Wellness. „Von den 613 Vorschriften der Bibel beziehen sich 213 auf die Gesundheit“, stellte der US-Internist und Rabbi Prof. Fred Rosner vom Mount Sinai Hospital in New York vor einigen Jahren fest.
Welche dieser Empfehlungen modernen Erkenntnissen standhalten, untersuchte der Münchner Ernährungswissenschaftler Dr. Martin Hofmeister bereits 2006 in einem Beitrag für die Zeitschrift „Ernährung und Medizin“. Dabei wurde er vor allem im Buch Jesus Sirach aus dem Alten Testament fündig. Diese Schrift entstand etwa um 180 v. Chr. und geht auf einen in Jerusalem lebenden Lehrer namens Sirach zurück. „Sein Buch enthält vielfältige Ratschläge in Bereichen wie Gottvertrauen, Mäßigung, Alkohol oder Essen“, erläutert Hofmeister.
Sirachs Ratschläge
So weiß Sirach über den Einfluss des Abendessens auf die Schlafqualität zu berichten: „Gesunden Schlaf hat einer, der den Magen nicht überlädt; steht er am Morgen auf, fühlt er sich wohl.“ (Sir 31,20)
Die gesundheitlichen Benefits von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten oder Nüssen lobt Sirach folgendermaßen: „Gott bring aus der Erde Heilmittel hervor, der Einsichtige verschmäht sie nicht.“ (Sir 38,4)
Moderater Alkoholgenuss wird nicht nur von Kardiologen angeraten, sondern auch von Sirach: „Wie ein Lebenswasser ist der Wein für den Menschen, wenn er ihn mäßig trinkt.“ (Sir 31,27)
In der Psychologie ist Selbstfürsorge, also die Wertschätzung der eigenen Gesundheit, ein aktuelles Thema. Der jüdische Lehrer schreibt darüber: „Wer sich selbst nichts gönnt, wem kann der Gutes tun? Er wird seinem eigenen Glück nicht begegnen.“ (Sir 14,5)
Neben praktischen Gesundheitstipps à la „Apotheken-Umschau“ rät Sirach zum entschiedenen Glauben an eine höhere Macht. „Krone der Weisheit ist die Gottesfurcht, sie lässt Heil und Gesundheit sprossen.“ (Sir 1,18)
Mit dieser Einstellung beschreibt der Jerusalemer Gelehrte nicht unbedingt die moderne, aufgeklärte Lebenshaltung. Doch selbst dieser Rat Sirachs macht Sinn, wie Hunderte von Studien belegen. „Die meisten Untersuchungen bestätigen positive Assoziationen zwischen Spiritualität und Gesundheit“, hat Dr. Martin Hofmeister festgestellt.
Dass der Glaube Rückenschmerzen, Allergien oder Migräne lindert, hat nichts mit Wunderwerken zu tun. Dahinter steckt viel mehr Logik. Wie das Phänomen funktioniert, beschreibt ein moderner Wissenschaftszweig namens Placebo-Forschung: Bereits die Erwartung, dass uns ein höheres Wesen hilft (oder aber in homöopathisches Globuli ohne Wirkstoff), verändert die Chemie des Gehirns. Botenstoffe werden freigesetzt, die über das Nervensystem in den Körper gelangen und die Selbstheilungskräfte anregen. Verspannungen lösen sich, der Blutdruck sinkt, die Immunzellen werden aktiv. In den Augen der Wissenschaft ist also nichts Übersinnliches im Spiel, wenn Jesus an verschiedenen Stellen der Bibel betont: „Dein Glaube hat dir geholfen.“
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