Pilgern und Pilgerwege

Pilgerrucksäcke am Jakobsweg Obwohl vom Pilgern schon in der Bibel die Rede ist und es etwas altmodisch wirkt, ist es doch hochmodern. In unserer schnelllebigen Zeit suchen die Menschen nach einer Entschleunigung und Erholung für Körper, Geist und Seele.

Beim Wandern, Singen und Beten können sie in einer intensiven Zeit eine Auszeit vom Alltag nehmen, Kraft schöpfen, die Nähe Gottes spüren und so den Glauben stärken; viele suchen auch nach Begegnung mit anderen und mit sich selbst.

Es wurde schon früher gepilgert

Pilger unterwegs Pilgernde sind unterwegs aus religiös-spirituellen Motiven, kulturellem und historischem Interesse, sportlichem Ehrgeiz, Hoffnung auf Genesung, Naturverbundenheit oder auch aus purer Abenteuerlust.

Gepilgert wurde und wird in allen Kulturen und Religionen, zu allen Zeiten, unabhängig vom Alter und der Herkunft. Jeder bestimmt individuell, auf welche Art, wo, wie lange und mit welchem Schwierigkeitsgrad er sich auf den Weg macht.

Pilgern wird im Alten Testament beschrieben. Abraham gilt als einer der ersten Pilger, denn er folgte dem Ruf Gottes und machte sich auf den Weg. Er verließ mit seiner Frau Sarah und der ganzen Familie die bisherige Heimat, um das verheißene Land Kanaan zu suchen (Genesis, 12,1).

Auch Jesus war als Pilger unterwegs zu den Wallfahrtsfesten nach Jerusalem, wie im Neuen Testament zu lesen ist. Die bekannteste Wallfahrt Jesu ist die nach Jerusalem zum Passahfest.

Viele Wallfahrtskirchen wurden an diesen heiligen Orten errichtet und so wurden diese Pilgerstätten auch für die nachfolgenden Generationen von Christen attraktiv.

Trotz vieler Berührungspunkte unterscheiden sich Pilgerreise und Wallfahrt.

Pilgerboom im Mittelalter

Reliquien des Hl. Apollinaris in der Kirche
St. Lambertus, Düsseldorf

Mit Beginn der Heiligenverehrung wurden auch die Gräber der Märtyrer und Heiligen zu Anziehungspunkten der Pilgernden.

Ab dem 4. Jahrhundert wurden auch die sterblichen Überreste der Heiligen (Reliquien) und Märtyrer verehrt, denen man übernatürliche Kräfte zusprach.

Die Hoffnung auf Heilung war eine der wichtigsten Beweggründe für das mittelalterliche Pilgern. Die Folge war ein regelrechter „Pilgerboom“. Freiwillige Bitt- oder Dankpilgerreisen oder auferlegte Buß- oder Strafpilgerfahrten verstärkten diesen Boom.

Manche Menschen konnten oder wollten selber nicht reisen, deshalb reisten sogenannte Auftragspilger, gegen Entlohnung, um diese verordneten Pilgerfahrten zu erledigen. Diese Handlungsweise wurde in der Reformation stark kritisiert.

Nach der Reformation gab es nur noch die freiwillige und privat motivierte Pilgerreisen. Dabei galten Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela weiterhin als die drei bedeutendsten christlichen Pilgerziele.

Was bedeutet pilgern?

Das Wort „pilgern“ kommt vom Lateinischen „pergere“ bzw. „per agere“ und bedeutet ursprünglich „jenseits des Ackers“ oder „in der Fremde“. Übersetzt heißt Pilgern damit „unterwegs sein“, „wandern“, „in der Fremde sein“.

Dabei wird der tiefere Sinn des Pilgerns deutlich: Als Menschen sind wir immer unterwegs, immer auf der Suche. In diesem Sinne ist Pilgern eine religiös motivierte Reise, die in mancher Hinsicht mit einer Wallfahrt vergleichbar ist.

Das Ziel des Pilgerns ist das Gehen des Weges selbst und damit auch immer ein Weg zu sich selbst. Immer ist es eine individuelle und sehr persönliche Erfahrung, die sich auch in den Alltag mitnehmen lässt.

Der Weg ist das Ziel

Jakobsweg-Beschilderung 1987 wird der Jakobsweg vom Europarat zur europäischen Kulturroute erhoben und damit wurde das Pilgern in Europa von einer breiten Öffentlichkeit wiederentdeckt. Wiederentdeckte Wegenetze, steigendes kulturelles Interesse und der Wunsch nach Entschleunigung locken viele Menschen auf den „Camino“.

Viele deutsche Pilger haben sich in den vergangenen Jahren auch wieder auf den Weg gemacht. Sicher hat das Buch des Moderators und Comedian Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ dazu beigetragen.

10 GEHbote

Es gibt fürs Pilgern kein besseres Fortbewegungsmittel als das Gehen. Nur Gehen! Darum geht es.
Setz dich nicht unter unnötigen sportlichen Leistungsdruck. Du kommst doch immer nur bei dir selber an.
Reduziere dein Gepäck auf das Nötigste. Es ist ein gutes Gefühl, mit wenig auszukommen.
Einfachheit begünstigt spirituelle Erfahrungen, ja sie ist sogar die Voraussetzung dafür.
Du kannst besser in dich gehen und offener auf andere zugehen.
Auf die Schnelle wirst du nichts kapieren. Du musst tage-, wochenlang unterwegs sein, bis du dem Pilger-Weg allmählich auf die Spur kommst.
Wenn du bewusst gehst, lernst du den Weg so anzunehmen, wie er ist. Dies zu begreifen, ist ein wichtiger Lernprozess und braucht seine Zeit.
Alles – auch das Mühsame – hat seinen tiefen Sinn. Vielleicht erkennst du diesen erst später.
Auch wenn Krisen dich an deinem wunden Punkt treffen, geh weiter. Vertraue darauf: Es geht, wenn man geht.
Es pilgert sich leichter, wenn du im Namen Gottes gehst. Wenn Gott für dich in weite Ferne gerückt ist, könnten dir die GEHbote 1–9 helfen, das Göttliche in dir wieder zu entdecken.

(Diesen Text fand man angeblich in der Kathedrale von Le Puy-en-Velay auf einen Zettel geschrieben, Quelle/Verfasser unbekannt)

Pilgern so beliebt wie nie

Fahrrad-Pilger unterwegs Weltweit schätzt man aktuell etwa 40 Millionen christliche Pilger im Jahr. Anziehend sind überwiegend die bedeutenden Stationen aus dem Leben Jesu, Mariä oder der Heiligen. Allein in Deutschland gibt es über tausend Wallfahrtsorte. Diese Form der Religionsausübung ist ein Ausdruck einer lebendigen Kirche!

In Deutschland allein gibt es rund 2.000 Pilgerwege. Einige sind in Etappen und verschiedene Stationen untergliedert. In der Tabelle finden Sie eine Auswahl an Pilgerwegen. Viele Informationen befinden sich hinter den Links, z. B. Höhenangaben, Etappenziele, GPS-Daten, Pilgerwege in Ihrer Nähe und vieles mehr.

Deutschlands bekannteste & beliebteste Pilgerwege:

Name	Beginn & Ende	Strecke
Baltisch-Mitteldeutscher Weg	Rostock nach Bad Wilsnack	190 km
Baltisch-Westfälischer Weg	Swinemünde nach Osnabrück	760 km
Beuroner Jakobsweg	Hechingen nach Meßkirchen	74 km
Bodensee Weg	Nürnberg nach Konstanz	381 km
Bonifatius Route	Fulda nach Mainz	182 km
Brandenburger Jakobswege	Frankfurt/Oder nach Leiprig oder Tangermünde	260 km
Crescentia Pilgerweg	Kaufbeuren (Rundweg)	90 km
Eifelstieg	Aachen nach Trier	313 km
Elisabeth Pfade	Eisenach nach Marburg	340 km
Harzer Klosterwanderweg	Goslar nach Ballenstedt	83 km
Hohenzollerischer Jakobsweg	Hechingen nach Messkirch	72 km
Hümmlinger Pilgerweg	Hümmlingen (Rundweg)	90 km
Jütländischer Jakobsweg	Pattburg nach Lübeck oder Harsfeld	230 km
Kinzigtäler Jakobsweg	Loßburg nach Kehl	129 km
Lahn Camino	Wetzlar nach Lahnstein	140 km
Loccum-Volkenroda	Kloster Loccum nach Kloster Volkenroda	290 km
Lutherweg	Leipzig (Rundweg)	400 km
Martinusweg	Tannheim nach Schwaigern	434 km
Mosel Camino	Lahnstein nach Trier	156 km
Müncher Jacobsweg	München nach Lindau	290 km
Ökumenischer Pilgerweg	Görlitz nach Vacha	466 km
Pfälzer Jakobsweg	Worms nach Metz	280 km
Rheingauer Klostersteig	Kloster Eberbach nach Eltville	30 km
Rotenburger Pilgerweg	Rotenburg o.d.T. nach Rotenburg a.N.	197 km
Sächsischer Jakobsweg	Bautzen nach Hof	305 km
Sigwardweg	Minden (Rundweg)	168 km
Via Imperii	Stettin nach Hof	616 km
Via Porphyria	Geithain (Rundweg)	163 km
Via Scandinavica	Fehmarn nach Eisenach	650 km
Vierzehnheiligen	Seßlach nach Viehzehnheiligen	21 km

Der Jakobsweg

Puente la Reina – wichtiger spanischer
Knotenpunkt des Jakobsweges

Der bekannteste und auch geografisch meist verbreitete Pilgerweg ist sicherlich der Jakobsweg. Seine Pfade führen quer durch Europa (vom Baltikum über Polen, Deutschland, die Schweiz und Frankreich in den äußersten Nordwesten Spaniens) und sind netzartig miteinander verknüpft.

Ziel ist das (angebliche) Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela in Galicien. Dieses wurde schon im Mittelalter zum dritten Haupt-Pilgerziel der Christen (neben Rom und Jerusalem).

Neben religiösen spielen auch touristische und sportliche Motive eine zentrale Rolle. Mittlerweile pilgern pro Jahr hunderttausende Menschen aus der ganzen Welt den Jakobsweg.

Routen

Camino Es gibt nicht nur den einen Jakobsweg. Allein in Deutschland verlaufen rund 30 Strecken, die offiziell zum Jakobsweg gehören. › Tipps & Informationen zum Jakobsweg und einer deutschen Jakobsweg-Route

Als Klassiker zählt zwar der „Camino Francés“ in Nordspanien. Seit dem Mittelalter überzieht aber ein ganzes Wegenetz aus oft alten römischen Handelsstraßen Europa.

Neben den fast zahllosen Verästelungen und Zubringern gab es je nach Zählung vier bis sechs Hauptrouten durch Frankreich:

Bezeichnung	Verlauf	Bemerkung
„Weg der Deutschen“ / „Via Lemovicensis“	Start in Vezelay in Burgund	Hauptweg für Pilger aus Nord- und Westdeutschland sowie aus Osteuropa
Küstenweg	entlang der französischen Atlantikküste bis nach Spanien	für Engländer und Iren
„Via Turonensis“	östlich; über Paris, Tours und Bordeaux
„Podiensis“	östlich; über Le Puy und Conques
„Tolosana“	östlich; über Arles und Toulouse
Pyrenäenweg	östlich; über Beziers und Foix

Geschichtliches

Seit dem frühen 7. Jahrhundert wird der Apostel Jakobus (der Ältere) in Spanien verehrt. Laut Überlieferung soll er auf der Iberischen Halbinsel missioniert haben und sein Grab zwischen den Jahren 818 und 834 durch eine Vision entdeckt worden sein. Jakobus wurde zum Schutzheiligen ernannt und erste Pilger kamen seit 930 von Aquitanien und dem Bodenseegebiet zu seiner Grabstätte.

Jakobsweg-Pilger So entwickelte sich mit der Zeit der Jakobsweg und wurde bereits im Jahr 1047 in einer Urkunde namentlich erwähnt. Im Mittelalter führten die Tagesetappen immer jeweils zu einem weiteren „heiligen Ort“, an dem Reliquien verehrt wurden.

Im 15. Jahrhundert wurden sogenannte Gnadenjahre (siehe Jakobusjahr) eingeführt, was den Pilgerstrom deutlich vergrößerte – teilweise kamen Pilger aus Skandinavien und Ostmitteleuropa.

Verschiedene Ereignisse in Europa (z. B. Reformation, Kriege) führten dazu, dass die Zahl der Pilger immer wieder stark schwankte. Besonders die Wiederentdeckung der 1589 verlorengegangen Gebeine des heiligen Jakobus im Jahr 1879 sowie die Bestätigung ihrer Echtheit durch Papst Leo XIII. im Jahr 1884 brachten einen neuen Aufschwung.

Zum Pilgerboom, der seit den 1970er Jahren zu verzeichnen ist, trug auch bei, dass Papst Johannes Paul II. im Jahr 1982 Santiago de Compostela besuchte und zur Wiederbelebung der alten Wurzeln Europas aufrief. Im Jahr 1987 erklärte der Europarat den Weg zum ersten europäischen Kulturweg.

In Deutschland verstärkte der 2006 erschienene Erlebnisbericht des TV-Entertainers Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ zusätzlich eine Renaissance des Pilgerns.

Brauchtum zum Jakobsweg

Pilgerausweis

In diesem Dokument lässt sich der Pilger an bestimmten Stationen des Jakobsweges (Herbergen, Kirchen, Klöstern, Kapellen am Weg) mit Stempeln die Wegstrecken nachweisen, die er beschritten hat. In Santiago de Compostela erhält er dafür eine Urkunde. Nachweisen muss er dafür, dass er mindestens die letzten 100 km zu Fuß oder die letzten 200 km per Rad zurückgelegt hat.

Außerdem berechtigt der Pilgerausweis zur Nutzung der preisgünstigen Pilgerherbergen und zum Tragen der entsprechenden Abzeichen.

Jakobsmuschel

Muschel-Wegweiser Das Pilgerabzeichen für den Jakobsweg ist die Jakobsmuschel. Vor allem diente sie ursprünglich als Nachweis, dass der Pilger die Reise tatsächlich gemacht hatte. Seit dem 13. Jahrhundert gibt es zu diesem Zweck jedoch ein Beglaubigungsschreiben, das heutzutage „La Compostela“ heißt.

Diese Muschel hat außerdem einen ganz praktischen Wert als Hilfsmittel beim Wasserschöpfen.

Das Zeichen der gelben Jakobsmuschel auf blauem Grund dient auch der Beschilderung des Jakobsweges.

Bruderschaften

Im Laufe der Zeit gründeten sich Bruderschaften, die sich seitdem um das seelische und leibliche Wohl der Pilger kümmern. Dazu gehörte auch die Gründung von Hospitälern und tätigten Stiftungen zur Versorgung der Pilger. Im Zuge der Wiederbelebung des Jakobsweges im ausgehenden 20. Jahrhundert wurden zahlreiche Jakobusgesellschaften und -bruderschaften neu oder wieder begründet.

Jakobusjahr & Heilige Pforte

Heilige Pforten, durch die man beim Durchschreiten einen vollkommenen Ablass erlangt, gab es anfänglich nur in Rom. Im Jahr 1122 erhielt die Kathedrale von Santiago de Compostela jedoch von Papst Calixt II. das Privileg, dass regelmäßig ein Heiliges Compostelanisches Jahr (Jakobusjahr, Gnadenjahr) ausgerufen werden dürfe, verbunden mit der Öffnung einer Heiligen Pforte. Die Puerta Santa („Heilige Pforte“) oder Puerta del Perdon („Gnadentor“) der Kathedrale darf demnach nur in Schalt- und Jubiläumsjahren geöffnet werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Jakobustag, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt.

Die Kathedrale von Santiago de Compostela

Die Heilige Pforte der Kathedrale von Santiago de Compostela ist eine romanische Tür, die an der Ostseite in den Chorumgang führt. Im oberen Abschluss zeigt der Vorbau die Skulpturen des hl. Jakobus und seiner Schüler Athanasius und Theodorus. In der eigentlichen Pforte betreten die Pilger die Kathedrale unter der lateinischen Inschrift Venient omne gentes et dicen gloria tibi Domine („Es kommen alle Völker und verkünden Deine Ehre, Herr“). Die Pilger, die durch die Heilige Pforte die Kathedrale betreten, können einen vollkommenen Ablass erlangen, wenn sie gebeichtet und kommuniziert haben.

Seit einigen Jahrzehnten gibt es in diesen Jahren auch ein umfangreiches Begleitprogramm von der galizischen Regierung sowie besondere liturgische Ereignisse, die die Pilgerzahlen zusätzlich in die Höhe schnellen lassen.