Gute Nacht
Das Leben wird oft mit einem Tag verglichen: Die Jugend ist der Morgen, das Alter der Abend. Dementsprechend sind auch diese Gedichte ausgerichtet. Am (Lebens-)Abend macht man sich noch einmal Gedanken über das Wichtigste – über das, was in der vergangenen Zeit gezählt hat, aber auch über das, was noch vor einem liegt.
Nachdenkliche, aber auch romantische Gedichte einer lauen Nacht sind hier versammelt und warten darauf, von Ihnen gelesen zu werden.
Die Ruhe der Nacht
Beim Kerzenschein
Die Welt bedarf der Wärme,
der Sprache des Gedichts,
und mitten im Gelärme
braucht sie den stillen Schein des Lichts.
Sie braucht nicht Glanz und Glimmer,
braucht grelle Farben nicht,
sie braucht den milden Schimmer,
durch den die Kerze spricht.
Sie braucht nur die Besinnung
des Menschen – weit zurück
auf Sinn und auf Bestimmung
und auf sein irdisches Geschick.
Elli Michler
Im Mondschein
Ich dachte gestern Nacht,
die Sterne müssen singen,
als ich aufgewacht
und es leise hörte klingen.
Es war aber eine Handharfe,
die durch die Räume drang,
und durch die kalte, scharfe
Nacht klang es so bang.
Dachte so verlornem Ringen,
Gebeten und Flüchen nach,
und noch lange hört‘ ich es singen,
lag lang noch wach.
Robert Walser
Mondnacht
Es war, als hätt der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis die Wälder,
so sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.
Joseph von Eichendorff
Abends
Jeden Abend
Jeden Abend sollst du deinen Tag
prüfen, ob er Gott gefallen mag,
ob er freudig war in Tat und Treue,
ob er mutlos lag in Angst und Reue;
sollst die Namen deiner Liebe nennen,
Hass und Unrecht still vor die bekennen,
sollst dich alles Schlechten innig schämen,
keinen Schatten mit ins Bette nehmen,
alle Sorgen von der Seele tun,
dass sie fern und kindlich möge ruhn.
Dann getrost in dem geklärten Innern
sollst du deines Liebsten dich erinnern,
deiner Mutter, deiner Kinderzeit;
sieh, dann bist du rein und bist bereit,
aus dem kühlen Schlafborn tief zu trinken,
wo die goldnen Träume tröstend winken,
und den neuen Tag mit klaren Sinnen
als ein Held und Sieger zu beginnen.
Hermann Hesse
Abendlied
Augen, meine lieben Fensterlein,
gebt mir schon so lange holden Schein,
lasset freundlich Bild um Bild herein.
Einmal werdet ihr verdunkelt sein!
Fallen einst die müden Lider zu,
löscht ihr aus, dann hat die Seele Ruh;
tastend streift sie ab die Wanderschuh,
legt sich auch in ihre finstre Truh.
Noch zwei Fünklein sieht sie glimmend stehn,
wie zwei Sternlein, innerlich zu sehn,
bis sie schwanken und auch dann vergehn,
wie von eines Falters Flügelwehn.
Doch noch wandl‘ ich auf dem Abendfeld,
nur dem sinkenden Gestirn gesellt;
trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
von dem goldnen Überfluss der Welt!
Gottfried Keller
Mein Kind
In der Nacht
In der tiefen Nacht
lacht ein kleines Kind.
Hab‘ ich froh gedacht:
Welch’ ein lieb Gesind!
In der dunklen Nacht
fühl ich eine Hand.
Hab’ ich still gedacht:
Gott hat sie gesandt!
Erich F. Thomas
Schlaf, mein Sohn, mach die Augen zu,
Mama ist da und sitzt bei dir.
Träum was Schönes, na nu schlaf schon, du,
brauchst nicht weinen, ich bin ja hier.
Hab keine Angst vor den lauten Dingen,
Wölfe gibt es nur im Wald.
Mama ist da, um ein Schlaflied zu singen,
und wenn sie dich zudeckt, ists nicht mehr kalt.
Hab keine Angst vorm Schwarzen Mann,
der fürchtet sich ja selber so.
Träum von deiner Eisenbahn,
Löwen gibt’s doch bloß im Zoo.
Weine nicht mehr, ist doch schon gut.
Ich wisch dir deine Tränen weg.
Keiner ist da, der dir was tut,
wenn ich dich in dein Bettchen leg.
Na siehst du wohl, jetzt schläfst du schon.
Wie klein du bist, das tut weh.
Ich kann nicht schlafen wie du, mein Sohn,
weil du noch nicht siehst, was ich schon seh.
Bettina Wegner
Die Nachtigall
Das macht, es hat die Nachtigall
die ganze Nacht gesungen;
da sind von ihrem süßen Schall,
da sind in Hall und Widerhall
die Rosen aufgesprungen.
Sie war doch sonst ein wildes Kind;
nun geht sie tief in Sinnen.
Trägt in der Hand den Sommerhut
und duldet still der Sonne Glut.
und weiß nicht, was beginnen.
Das macht, es hat die Nachtigall
die ganze Nacht gesungen;
da sind von ihrem süßen Schall,
da sind in Hall und Widerhall
die Rosen aufgesprungen.
Theodor Storm
Gute Nacht!
Tagesbilanz
Mit dem falschen Fuße aufgestanden
und ins Fettnäpfchen getreten.
Das Brett vor dem Kopf nicht bemerkt
und zwischen die Stühle gesetzt.
Lesen gekonnt,
doch ein X für ein U machen lassen.
Die Beine in die Hand genommen
und den Boden unter den Füßen verloren.
Ein Luftschloss gebaut
und der Fata Morgana erlegen.
Die Maske abgenommen
und an den Nagel gehängt.
Den Tag gewogen
und zu leicht befunden.
Morgen werde ich ihn schon
beim Schopfe fassen
und ihm den Putz abkratzen!
Es ist ja noch längst nicht
aller Tage Abend …
Gabriele Lins
Abend
Der Abend sinkt, bald wird es Nacht.
Halb schläft der Mensch, obwohl er wacht.
An seinen Augen zieht vorbei
des Tages Last und Schinderei.
Da gab es Ärger mit Kollegen,
ganz unwichtiger Dinge wegen.
Viel Leerlauf, Öde, Langeweile,
verdammte Hetze, Hast und Eile.
Statt seine Feigheit zu besiegen,
hat er vor seinem Chef geschwiegen
und viel geschluckt, was immerfort
in seinem Inneren rumort.
Auch Schönes hat er mitgemacht:
Musik gehört, geschaut, gelacht.
Gott schenke dir gesunden Schlaf,
besonders wenn dich Schweres traf;
erneuere Dich ganz sanft und sacht
durch eine ungestörte Nacht.
Ich bin mit den Nerven fertig
Die Klage unserer Tage.
Wir leben alle zu gehetzt und gejagt.
Wir haben den Sinn verloren
für Stille, Ruhe, für die Nacht,
die Gott uns zur Erholung gab.
Gestörte Nächte machen gereizt,
und Nervosität schafft neue Probleme.
Eine Nacht gut schlafen:
So löst sich manches Problem.
Versuch es einmal.
Warte bis zum anderen Tag, um dich aufzuregen.
Und du wirst sehen, dass es meistens
nicht der Mühe wert war.
Leg dich nicht schlecht gelaunt ins Bett.
Geh mit einem Herzen schlafen,
das morgen wieder lieben kann.
Gute Nacht!
So will ich, wenn der Abend sinkt,
des Leides nicht gedenken,
das mancher Erdentag noch bringt,
und mich darein versenken,
wie du, wenn alles richtig war,
worauf die Menschen hoffen,
zur Seite warst und wunderbar
mir Plan und Rat getroffen.
Ich weiß, dass auch der Tag, der kommt,
mir deine Nähe kündet
und dass sich alles, was mir frommt,
in deinem Ratschluss findet.
Jochen Klepper
Schicksal
Sternenstimmung
Milliarden glitzernder Tupfen
im schwarzen Himmel –
I-Punkte des Alls.
Doch einer davon
ist heller als alle,
uns viel näher,
bewegt sich zielbewusst und stetig,
er leuchtet, verlöscht und leuchtet,
ein Produkt des Menschen,
spottet er des Schöpfers?
Ein monotones Brummen
dringt an mein Ohr.
– Die Sterne
haben keine Stimme. –
Ich starre hinauf
mit Staunen und Bewunderung.
Doch schon ist der fliegende Punkt
eingetaucht in die Nacht.
Ich stehe still beschämt,
denn die Sterne da oben
in ihrer erhabenen Stille
lächeln.
Gabriele Lins
Ich möchte Leuchtturm sein
in Nacht und Wind
für Dorsch und Stint
für jedes Boot
und ich bin doch selbst
ein Schiff in Not.
Wolfgang Borchert
Es kann über Nacht sein —
dass eine Blume dir blüht,
um die… du dich lange
umsonst gemüht.
Es kann über Nacht sein —
dass du dein Schicksal begreifst
als heimlichen Segen —
und daran reifst.
Es kann über Nacht sein —
dass du es gläubig gespürt,
trotz sternlosem Dunkel
du wirst geführt.
B. Schreiber
Was bleibt – Geben und Nehmen
Was bleibt
Nicht Wissen, nicht Reichtum,
nicht Empfindung, nicht Gelingen,
nicht Gemeinschaft, nicht Liebe.
Du kannst nur geben und nehmen.
Geben und Nehmen ist das Geheimnis
der abendlichen Stunde.
Der Abend sagt:
Wenn du einen Menschen liebst,
dann zeige es ihm. Was du nicht zeigst,
kann er nicht empfangen.
Wenn du einen Menschen liebst,
dann lass dich lieben. Was du nicht annimmst,
kann er nicht geben.
Nimm auf, was zu dir kommen will:
Trauriges, Kummervolles,
Einsamkeit, Bedürftigkeit,
Leiden unter Sinnlosigkeit
und der Schwäche des Glaubens.
Ungeklärtes, Unvereinbares,
nimm es auf.
Es sitzt am Tisch wie ein Gast,
es will bewirtet sein.
Und gib, was du zu geben hast:
Geduld, Gelassenheit, Wärme des Herzens.
Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Zeichen.
Vielleicht eine Deutung.
Vielleicht einen Gedanken.
Hoffnung vor allem.
Das Vertrauen, dass nichts unüberwindbar ist,
nichts endgültig in dieser Welt.
Geben und Nehmen ist das Gesetz,
nach dem der Baum lebt vor deinem Haus.
Wurzel und Astwerk halten einander
die Waage.
Jedes Blatt nimmt und gibt.
Das ist das einfache Gesetz,
dem das Leben gehorcht,
solange es lebt.
Wer das Netz sucht,
das Netz aus Fäden von Licht,
das uns auffängt und trägt,
die tragende Kraft unseres Vertrauens,
der findet in der Kunst des Nehmens
einen Faden,
in der Kunst des Gebens einen anderen.
Wenn der Liebende nicht zurückblickt,
um „Ordnung“ zu schaffen
oder zu „bewältigen“, was gewesen ist –
so blickt er doch zurück, um zu danken.
Die Zartheit des alten Menschen
ist dankbares Erinnern.
Vergänglichkeit und Ewigkeit
Weißt du noch?
Es ist nicht leicht,
nur noch vom „Weißt-du-noch?“ zu leben,
vom konservierten Glück
an des versunknen Tages Statt:
Der Augenblick,
der aus der Gegenwart entschwindet,
um den vergangenen Zeiten zuzustreben,
steht allzu bald auf einem andern Blatt.
Und dennoch möchten wir
den schönen Trost nicht missen.
Er wirft noch einen Schein von Licht,
wenn unser Tag schon in den Abend mündet,
hinein in unser fast verlornes Wissen,
von dem die Seele manchmal träumend spricht.
Elli Michler
Gib Acht! O Mensch!
O Mensch, gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief –
aus tiefem Traum bin ich erwacht!
Die Welt ist tief,
und tiefer, als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –
Lust – tiefer noch als Herzeleid!
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –
will tiefe, tiefe Ewigkeit!“
Friedrich Nietzsche
Anregungen für Morgen & Abend:
Weiterführendes:
› Fürbitten zu Morgen & Abend
› Morgengebete und Abendgebete
› Bücher mit Andachten und Gebeten
› Bücher zur Gottesdienstpraxis
› Spirituelle Bücher