Anhalten, innehalten, weiterfahren
Jetzt zu Ferienbeginn fahren wieder viele Urlauber auf der Autobahn ihrem Ziel entgegen. Andere sind weiterhin beruflich auf ihr unterwegs.
Vielleicht gehören Sie auch dazu? Wie bewusst achten Sie auf die Autobahnschilder? Ist Ihnen die schwarze Kirche auf weißem Grund schon einmal bewusst ins Auge gefallen? Haben Sie vielleicht sogar schon eine der vielen Autobahnkirchen besucht, auf die das Schild hinweist?
Was erwartet einen, wenn man die Ausfahrt nimmt?
Und was ist, wenn man gar nicht mit dem Auto, sondern auf einem Fahrradweg unterwegs ist?
Autobahnkirchen
Ob neben einem Gewerbegebiet, in der Nähe einer Raststätte, am Rande einer Stadt, in einer kleinen Ortschaft, auf einem Hügel oder etwas außerhalb eingebettet in die Natur – eines haben sie alle gemeinsam: sie sind für all jene bestimmt, die ihre Reise unterbrechen und zu Gott beten wollen. Oder einfach nur etwas Ruhe tanken möchten. Oder einmal kräftig singen.
Berufskraftfahrer und Reisende können hier eine „Seelentankstelle“ finden, um beispielsweise schlimme Erlebnisse auf der Autobahn zu verarbeiten. Aber auch besonders die aus der Kirche ausgetretenen Christen zieht es dorthin, weil sie so anonym und „ungesehen“ eine Kirche aufsuchen können.
Nicht immer liegt die Kirche direkt an der vielbefahrenen Straße; manchmal muss man nach der Ausfahrt noch eine kleine Strecke zurücklegen, bis man sie erreicht. So kommt man etwas heraus aus dem Alltag, weg von der Geschäftigkeit, hin zu einer Oase der Ruhe.
Der Ursprung
Solche Orte entlang von Reiserouten haben eine lange Geschichte: bereits im Mittelalter standen für Wanderer und Pilger Kapellen und Kreuze am Wegesrand. In dieser Tradition reihen sich die Autobahnkirchen ein. Die erste gab es in Adelsried (1958), die sich mit der Zeit ganz nach den Bedürfnissen der Reisenden ausrichtete: Sie ist jeden Tag und rund um die Uhr geöffnet; Gottesdienste und ein anwesender Priester sind eher in den Hintergrund gerückt.
Für eine katholische Kirche ist diese schmucklos. Den Altartisch zieren zwar ein paar Blumen, aber auch eiserne Ketten mit stabilen Schlössern, denn ansonsten kommt abhanden, was nicht niet- und nagelfest ist. Auch der Brauch, leere Wände mit Votivbildern zu bepflastern, reguliert sich von selbst, da die Tafeln ebenso gestohlen wie gestiftet werden.
Mittlerweile sind es ca. 50 Autobahnkirchen, die es fast ausschließlich in Deutschland gibt (meist in den südlichen und westlichen alten Bundesländern). Frequentiert sind sie eher mäßig, betreut werden sie hauptsächlich ehrenamtlich. Ein bisschen Aufmerksamkeit auf diese besonderen Kirchen lenken sollte der bundesweite „Tag der Autobahnkirchen“ im vergangenen Juni; er stand unter dem Motto „Rast für Leib und Seele“.
Kein Leben auf der Überholspur
Das aufliegende Fürbittenbuch in einem solchen spirituellen Rückzugsort spiegelt die Seelenverfassung der Besucher wider. Es ist innerhalb weniger Monate gefüllt mit Eintragungen, die sich im engeren und weiteren Sinne auf den Straßenverkehr beziehen:
- „Danke für die Ruhe u. Stille hier – nach der Hektik auf den Straßen. Gute Fahrt für alle erbittend.“
- „Danke, dass es diesen Ort der Stille gibt. Schon oft habe ich auf den Schildern den Hinweis gesehen. Heute habe ich angehalten"
- „Ich habe den Wink verstanden und danke, dass es nicht schlimmer kam.“
Doch auch andere Bitten gibt es: Einer wünscht sich zum Beispiel, dass seine Tochter ein gesundes Baby bekomme, ein zweiter, dass ihm die Angst beim Fliegen genommen werde, ein dritter, dass sich die Menschen auf Erden wie Gäste benähmen und nicht wie „Räuber und Plünderer“.
Zu Gott wendet sich jeder in seiner Muttersprache. An Schreibern, die sich unbeholfen artikulieren, fehlt es ebenso wenig wie an solchen, die sich ein bisschen aufspielen wollen.
Angeboten werden in Autobahnkirchen auch Gottesdienste, wobei sich die Predigt nicht nur mit der Verantwortung des Menschen am Steuer befasst – man kann nicht sechzigmal im Jahr Autothemen haben. Als Autofahrer kann man um einiges bitten: um eine sichere Hand, um Nervenstärke und wachen Sinn, doch auch um Fähigkeiten wie Rücksichtnahme und Nachsicht gegenüber schlechten Fahrern, vor allem aber um die Gnade, den Dämon der Selbstüberschätzung bezwingen zu können.
Im Grund geht es bei dem Besuch einer Autobahnkirche jedoch nicht um die Weiterfahrt, sondern um jene lange Reise, die noch nicht zu Ende ist, wenn der Fahrer seinen Wagen in die Garage gestellt hat und, zufrieden mit sich und seiner guten Ankunft, die Beine unter den Tisch streckt.
Radwegekirchen
Auch Radwegekirchen gibt es, über 200 Stück. Man kann dort nicht nur verweilen für ein Gebet, auch Flickzeug, Verbandmaterial, Verpflegung und sogar Führungen werden in einigen Radwegekirchen angeboten.
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